Das Mitarbeitergespräch: Den Film vom letzten Jahr noch einmal anschauen

17. Juni 2020






In den Mitarbeitergesprächen die persönliche Entwicklung stärker thematisieren als die Leistung. So lautet die Empfehlung von Beat Hiltbrand an die Vorgesetzten. Die Mitarbeitenden ihrerseits sollten sich gut vorbereiten und sich aktiv einbringen.

Interview: Stefan Krucker / Erschienen im Alpha vom 6. Juni 2020

Beat Hiltbrand, in vielen Unternehmen finden einmal pro Jahr Mitarbeitergespräche (MAG) statt. Wie laufen die typischerweise ab?
Die Unterschiede zwischen den Unternehmen sind riesig. Tendenziell stelle ich fest, dass in immer mehr Unternehmen die Entwicklung des Mitarbeiters im Zentrum steht. Es geht also nicht mehr primär um die Beurteilung der Leistung, sondern um das Planen der Zukunft. Es gibt sogar Betriebe, die ganz wegkommen von einer Beurteilung mit Kreuzchen oder Noten. Sie merken, dass sie einfach Leute brauchen, die für die kommenden Aufgaben fit sind. Daher führen sie Entwicklungsgespräche.

Welche Rolle spielt der Lohn im Zusammenhang mit dem MAG?
Ich finde es legitim, dass es einen Zusammenhang zwischen Arbeitsleistung und Lohn gibt. Eine direkte Verknüpfung des Lohns mit dem MAG hat sich aber nicht bewährt. Betriebe, die die Leistungsbeurteilung in Worten machen, die also die Qualität des Mitarbeiters und seine Wirkung konkret beschreiben, haben viel zufriedenere Mitarbeitende. Gut geführte MAG haben positive Auswirkungen auf die Gesundheit und die Motivation der Mitarbeitenden.

Welches sind die häufigsten Fehler der Chefs beim Führen der MAG?
Dass sie nicht zuhören. Vorgesetzte haben manchmal den Anspruch, das ganze Gespräch zu bestreiten und eine umfassende Beurteilung abzugeben. Sie hören gar nicht zu, was die Mitarbeitenden über ihre Arbeit zu berichten haben. Führungspersonen sollten sich in der Kommunikation sicher fühlen, zuhören, zusammenfassen und sich klar ausdrücken. Die Anforderungen an die Vorgesetzten sind sehr hoch.

Wann ist ein Mitarbeitergespräch erfolgreich?
Erfolgreich ist ein MAG dann, wenn man das Wissen des Mitarbeiters abholen kann. Jeder arbeitende Mensch weiss selbst am meisten über seine Arbeit! Er kennt seine Grenzen, und er kennt die Momente, in denen er im Flow ist. Man muss dem Mitarbeiter auch die Gelegenheit geben, sich vorzubereiten. Er sollte sich vor dem Gespräch überlegen, was ihm bei der Arbeit Freude macht, wo er Schwierigkeiten hat und wie er sich weiterentwickeln möchte. Das Persönliche finde ich entscheidend für ein erfolgreiches MAG. Wir haben daher eine Software entwickelt, die diesem Umstand Rechnung trägt. Dabei generiert man für jeden Mitarbeiter jedes Jahr einen neuen, individuellen Leitfaden mit denjenigen Fragen, die zu diesem Menschen und zur aktuellen Situation passen.

Trotz aller Individualität ist das MAG aber etwas Formelles.
Ja, es ist etwas Formelles, und es muss auch eine Struktur haben. Bestimmte Aspekte müssen thematisiert werden.
Aber eine 25jährige Mitarbeiterin hat andere Fragen als eine Mitarbeiterin, die in zwei Jahren pensioniert wird.
Für alle wichtig ist der Rückblick, also zurückzuschauen, wie es letztes Jahr gelaufen ist, welche Höhepunkte es gegeben hat, wo man schwierige Situationen erlebt hat, wie man damit umgegangen ist. Das MAG ist eine Gelegenheit, den «Film» vom letzten Jahr noch einmal gemeinsam anzuschauen. Ausserdem relevant bleibt die Beurteilung der Leistung und insbesondere die Einschätzung der Schlüsselkompetenzen: Die Art und Weise, wie sich eine Mitarbeiterin im Team verhält, wie sie mit Kunden umgeht und wie sie Herausforderungen bewältigt, das sind die Themen, die am meisten hergeben.

Also ein Standortgespräch.
Einerseits. Andererseits ist der Vorgesetzte auch dafür verantwortlich, die Ziele des Betriebs zu verfolgen. Er muss im Blick haben, mit welchen Herausforderungen im nächsten Jahr zu rechnen ist, was die Rolle der Mitarbeiterin sein wird und wo diese noch Unterstützung braucht. Vielleicht muss auch besprochen werden, welche Kompetenzen die Mitarbeiterin weiterentwickeln muss, um den Herausforderungen gewachsen zu sein.

Wenn man einander regelmässig Feedbacks gibt, braucht es dann überhaupt ein MAG?
Im Alltag ist es häufig so, dass der Vorgesetzte mit einigen Leuten in sehr engem Kontakt ist, sie begleitet, ihnen Feedback gibt – also all das macht, was zu seinem Führungsauftrag gehört. Bei schwierigen Mitarbeitenden oder bei solchen, zu denen er nicht so einen guten Draht hat, vergisst er das manchmal. Das MAG nimmt ihn in die Pflicht, sich auch vertieft mit diesen Mitarbeitenden auseinanderzusetzen.

Welches sind die häufigsten Fehler der Mitarbeitenden im MAG?
Dass sie davon ausgehen, der Chef sage ihnen dann schon, was Sache sei.
Ein Fehler ist auch, sich zu defensiv zu verhalten. Vielleicht will die Mitarbeiterin den Ball flach halten, um nicht in einen Konflikt mit dem Vorgesetzten zu geraten. In den MAG zeigt sich immer auch die Beziehung zwischen Mitarbeitenden und Vorgesetzten.
Ein Grossteil der Vorgesetzten führt mit einem Grossteil der Mitarbeitenden diese Gespräche gerne. Es sind die paar wenigen Gespräche, die einem auf dem Magen liegen, die das Prozedere immer wieder in Frage stellen.

Was empfehlen Sie bei langjährigen Mitarbeitenden?
Es gibt Funktionen, in denen man ständig im Wandel ist, wo es immer wieder Projekte und Veränderungen gibt. Dort fällt es leicht, vorwärts zu schauen, neue Perspektiven aufzuzeigen, Weiterbildungswünsche entgegenzunehmen. Aber ein grosser Teil der Angestellten macht repetitive Aufgaben. Von diesen höre ich immer wieder: «Wozu soll dieses Mitarbeitergespräch dienen, ich mache ja immer etwa das Gleiche, und zwar nicht schlecht. Und jedes Jahr müssen wir doch ein MAG machen.» Um diesen Mitarbeitenden gerecht zu werden, muss man diejenigen Aspekte besprechen, die jemand gut macht. Und dieses Gute beizubehalten, wird zum Ziel für das nächste Jahr. Dabei sollte man möglichst genau beschreiben, was die Qualität und die Wirkung dieses Mitarbeiters im Alltag ist. Das erhöht die Motivation ungemein.





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